Autoritär und antisemitisch

Die Schweizer Armee verteidigte im Zweiten Weltkrieg nicht die Demokratie, sondern die Nation. Das zeigt auch ein «Programm» von Aktivdiensleistenden aus dem Jahre 1941. Wir veröffentlichen Auszüge des aufschlussreichen Dokuments samt einigen kommentierenden Gedanken. Von Josef Lang.

Das in der «Monatsschrift» (No 85, S. 288ff.), dem Organ des katholischen Studentenvereins, im Winter 41/42 veröffentlichte «Programm» ist laut deren Redaktor Hürlimann von «Soldaten» verfasst worden, die «im Zivil Arbeiter, Bauern, Kaufleute, Studenten, Staatsangestellte» sind und die «sich einst (!) zu den verschiedenartigsten Fahnen als Demokraten, Christlichsoziale, Duttweileranhänger, Sozialisten, Frontisten, Kommunisten oder auch Parteilose bekannten». Das «Programm» zur «Erneuerung» der Schweiz «aus der Armee», und zwar «von unten», verdanke «sein Entstehen dem Erleben der Grenzbesetzungskameradschaft».

«Neuordnung» und «Erneuerung»

Das «Programm» beginnt mit einer kurzen Einleitung, in der «die Rückführung des Volkes zu Verantwortungsbewusstsein, Opferfreude und Arbeitswillen durch Organisation einer widerstandsfähigen nationalen Wirtschaft im Rahmen einer europäischen Neuordnung und durch Herstellung sozialer Gerechtigkeit» postuliert wird. «Neuordnung» bedeutete die (freudige bis resignierte) Anerkennung der nazistischen Hegemonie. Mit «Erneuerung» war die innenpolitische Anpassung an den Totalitarismus gemeint, aber nicht unbedingt dessen Umsetzung.

Bereits der erste Punkt spricht Klartext: «Wir fordern, dass die Eidgenossenschaft in erster Linie von jenen Männern geführt werde, die als Soldaten ihre Grenze geschützt und bereit sein müssen, für sie zu sterben.» Dann folgen vier Forderungen, welche das «Primat der Persönlichkeit» über die «Kommissionen und Ausschüsse», aber auch über «Vermögen und Beziehungen» setzen und «die systematische, unerbittliche Erziehung des Volkes» fordern.

In diesem Stil geht es weiter:

«6. Wir fordern die Erziehung der Jugend durch einen obligatorischen Arbeitsdienst zur Wertschätzung der Arbeit in jeder ihrer Formen und zum gegenständigen Verständnis aller Stände und Berufe.

7. Wir fordern die schärfsten Strafen für alle Volksschädlinge und Verräter, insonderheit den Tod für alle Verbreiter zersetzender Ideen und Söldlinge ausländischer Bewegungen und Regierungen.»

Der 8. Punkt postuliert «den zielbewussten Schutz des Staates für den vielgestaltigen Reichtum unserer Kulturen und Sprachen.»

Ständestaat ohne «Parteienzersplitterung»

Unter «Aussenpolitik» steht bloss:

«9. Wir fordern eine starke Aussenpolitik, die alle Mittel benützt, welche unsere Unabhängigkeit sicherstellen helfen oder unsere Aufgabe im europäischen Raume erleichtern, und die getragen wird durch eine initiative Diplomatie.»

Innenpolitisch werden drei brisante Forderungen aufgestellt:

«10. Wir fordern das Ende der Parteienzersplitterung und des Klassenkampfes.

11. Wir fordern die Reform des Parlaments durch Ausmerzung aller Misstände und durch die Umwandlung des Nationalrates in eine Vertretung aller Stände und Berufe.

12. Wir fordern eine starke Regierung, die dem Volk allein verantwortlich ist...»

Die «Wirtschaftspolitik» wird eingeleitet mit:

«13. Wir fordern die Mobilisierung aller materiellen und geistigen Kräften des Volkes zur Schaffung von Arbeit und Verdienst.» Dann folgen Massnahmen, welche vor allem den Mittelstand schützen, die Bodenspekulation verunmöglichen und den Aussenhandel fördern sollen.

Schutz vor Kapitalisten und Juden

Gegen das Grosskapital richtet sich auch das Kapitel «Sozialpolitik»:

«20. Wir fordern die Konfiszierung der Kriegsgewinne, die Einschränkung des arbeitslosen Einkommens und schärfste Aufsicht über Börse und Spekulation. 21. Wir fordern die Festsetzung oberster und unterster Einkommen.

22. Wir fordern den radikalen Schutz der Familie und der Nachkommenschaft besonders durch Familienlöhne und eine grosszügige Wohnpolitik.

23. Wir fordern die Gewinnbeteiligung der Arbeiter an den Betrieben.

24. Wir fordern die staatlich organisierte Altersversicherung für alle Schweizer.

25. Wir fordern den Schutz der schweizerischen Arbeiter gegen Ausländer und Juden auf dem Arbeitsmarkt.»

Das Kapitel «Finanzpolitik» richtet sich gegen die «Schuldenhäufung» (26.). Unter «Landesverteidigung» wird «genaue Rechenschaft über die Verwendung der während der Aktivdienstzeit verausgabten Summen» (27.) und die «Anwendung neuer Grundsätze in der Offizierswahl und Offiziersausbildung» (28.) verlangt. Am liberalsten ist der den «Kultus» betreffende 29. Punkt, der «für alle religiösen Bekenntnisse, sofern sie nicht die Grundlagen des Staates bedrohen, die Freiheit der Betätigung» verlangt. «Wir kämpfen in konfessioneller Neutralität gegen jedes heuchlerische Wortchristentum für ein Christentum der sozialen Tat.»

Gegen «Faulenzen und Wohlleben»

Der letzte Punkt beteuert unter der Überschrift «Unser Einsatz»: «Wir lehnen es ab, wie andere Parteien dem Volke vorzutäuschen, als ob bei besserer Organisation je Faulenzen und Wohlleben die Zukunft einer Nation zu sichern vermöchten, sondern wir werden nie aufhören zu betonen, dass nur selbstlose Opfer und unermüdliches Arbeiten ihren Bestand garantieren in unserer harten Zeit.»

Hürlimann hat einzelne der 30 Punkte mit Kommentaren versehen. Nur zwei sollen erwähnt werden. Der egalitären 21. Forderung folgt die Bemerkung: «Um die Respektierung zu erwingen, wäre wohl die Todesstrafe notwendig.» Dem explizit judenfeindlichen Punkt 25 fügte er bei: «Das ist die zaghafteste Form von Antisemitismus, die je in Erscheinung trat. Ist ihr die Berechtigung abzusprechen?»

«Kernige Männlichkeit»

Die Schweizer Armee ist dran, auch noch ihr bisher stärkstes Argument zu verlieren: ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg. Inzwischen zweifeln nur noch wenige dran, dass die Rüstungslieferungen, die Devisenbeschaffung, die Infrastrukturen und die Anpassung stärker gewirkt haben als die militärische Dissuasion. Dies heisst nicht, dass der Miliz überhaupt kein Verdienst zukommt bei der Bewahrung der Unabhängigkeit und damit auch der (eingeschränkten) Freiheitsrechte sowie bei der Rettung von Menschenleben – beispielsweise der jüdischen Flüchtlinge. In diesem Zusammenhang aber ist festzuhalten, dass ohne die Armee im Sommer 1942 die Grenzen nicht hätten geschlossen werden können. Wann stellen sich auch die Militärs zu ihrer Mitverantwortung bei der direkten Abweisung von 30’000 Asylsuchenden und zur indirekten Abschreckung von Zehntausenden weiterer Bedrohter?

Die Tatsache, dass viele Offiziere mit Hitler und Mussolini sympathisierten, hat der Armee die Erfüllung dieser ruhmlosen Aufgabe gewiss erleichtert. Dass aber auch der in der Truppe vorherrschende Antinazismus mit einer antisemitischen Haltung zusammengehen konnte, beweist das «Programm», welches – wie sein Publizist Alois Hürlimann schrieb – «gewöhnliche Soldaten zu Urhebern hat». Es illustriert die ideelle Regression, die auch unser Land in den dunklen Jahrzehnten der 30er und 40er Jahre erlebt und die das öffentliche Leben bis in die 60er Jahre geprägt hat. Wenn der spätere Zuger Landammann und Nationalratspräsident Hürlimann in seiner Einleitung schreibt, der «Aktivdienst hat die Werte kerniger Männlichkeit und rücksichtsloser Einsatzfreude in einem Grossteil vorher allzu verwöhnter Bürger wieder wachgerufen», dann liefert er gleichzeitig eine Erklärung für die späte Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz und für den harten Generationenkonflikt zwischen dem patriotischen Miliz-Männervolk einerseits, den kosmopolitischen «Halbstarken» und «Langhaarigen» andererseits.* Dass der Antimilitarismus, die Dienstverweigerer-Frage und das Vorwurfs-Paar «unschweizerisch-unsoldatisch» in den damaligen Auseinandersetzungen so viel Platz eingenommen haben, wird durch das hier vorgestellte «Programm» verständlicher.

* Siehe dazu den in der GSoA-Zitig vom März 1995 veröffentlichten Vortrag von Josef Lang: «Wehrpflicht, lange Haare und Frauenstimmrecht»

Ohne Armee hätten im Sommer 1942 die Grenzen nicht geschlossen werden können. Bis heute stehen die Militärs nicht zu ihrer Mitverantwortung bei der Abweisung von 30’000 Asylsuchenden. Ein nun erstmals in der GSoA-Zitig ausgewertetes Dokument aus dem Jahr 1941 belegt, wie anfällig für antisemitisches Gedankengut die «Grenzbesetzungskameradschaft» der Aktivdienstgeneration war.

Randnotiz

Metamorphose eines Schweizsoldat

1940

Wer nicht schweigen kann, schadet der Heimat, und wer nicht lauthals heraus dem Verbrecherwahnsinnhitlerdeutschland die Stirn bietet, schadet auch. Schuhputz, Gamellenputz, Tornisterputz, Blechlöffelputz für die Schweizunabhängigkeit. Auch wenn bei mir zu Haus das Geschäft verlumpt, der Schweizsoldat putzt in der Früh, am Abend, alleine, gemeinsam, freiwillig oder zur Strafe, und wenn meine Frau zu Haus meine Arbeit noch mitverrichten muss, so ist es für die Schweizselbstständigkeit. D‘Schnorre halte - au im Hinterland. Im Ernstfall würde der Schweizsoldat zuerst das Kader erschiessen - für die Schweizfreiheit.

1943

Wer nicht schweigen kann, schadet der Heimat, und wer nicht lauthals der Schweizvolksverratidee REDUIT die Stirn bietet, schadet auch. Schweizfrauenpack, Schweizaltenpack, Schweizkinderpack lässt der General gern im Stich. Aber wir Soldaten schützen die Schweizfreiheit, die Füss an der Grenze stehen wir uns wund, und täten sie in den Leib uns hineinwachsen, verdorren und absterben, kein Fussellbogenbreit wanken wir von der Stelle. D’Schnorre halte - au im Hinterland. Als Soldat, als Bürger, als Schweizmann, nie, nie, nimmermals nie, kampflos das Land, mein Vatergrossvater- urururgrossvaterland dem Naziwahnsinn überlassen, nie.

1998

Weil im Aktivdienst an der Grenze der Schweizsoldat mit Bangen und Verzicht sich die Füss in den Leib gestanden, weil unsere Schweizfrauen zuhaus den Mann stellten, den Schweizsoldat unterstützten, ihre Gesundheit der Heimat als Opfer darboten, und weil unser Generalstab die GOETTLICHFUNKENIDEE REDUIT, unsere kolossale Alpenfestung im Schweizgebirgsmassiv stets bezugsbereit hielt, darum haben wir dem Hitler die Stirn bieten können. Und wenn jetzt der Amijud ein Feindbild sich sucht, die Schweiz verdreht und verzerrt, so vergesst nie, den Schweizjud auf Hilfsunterlassung zu prüfen. Die von der Weltjudschaft dem Flüchtlingshort Schweiz verordnete Geschichtsscham, fördert und züchtet natürlichst Urchristenjudfeindlichkeit.

Katharina Tanner

Die Schaffhauser Autorin Katharina Tanner verfasste 1994 «Rufst du mein Vaterland» (S. Fischer). 1997 brachte das Theaterhaus Gessneralle ihr Stück «Der grosse B.» auf die Bühne, das sich mit dem Phänomen Blocher auseinandersetzt. Auch ihr nächstes Projekt «Schweigen ist Gold» befasste sich kritisch mit Schweizer Geschichte und Politik.