“Freiheit” von den Serben

Seit einigen Monaten hat das ehemaligen Jugoslawien wieder Newswert. Verantwortlich für die Schlagzeilen ist vor allem die “Kosova Befreiungsarmee” (Ushtria Çlirimtare e Kosovës UÇK). Wer ist diese Bewegung und: Wofür kämpft sie?

Roland Brunner

Jahrelang schlief die internationale Politik ihren diplomatischen Schlaf der Ungerechten, wenn es um die Probleme in der albanisch bewohnten Region Kosov@ ging. Erst als am 28. November 1997 bei einer Beerdigung drei mit Kalaschnikows bewaffnete, maskierte Männer auftauchten, kam Bewegung in die Diplomatie. Seither ist die UÇK aus der Diskussion um eine Lösung des Kosov@-Konflikts nicht mehr wegzudenken.

Differenzen im Widerstand

Die albanische Bewegung in Jugoslawien war Ende der 80er-Jahre in zwei Flügel gespalten: den illegalen, im Untergrund tätigen und in sich selber zerstrittenen marxistisch-leninistischen (sprich maoistischen) Gruppen einerseits (die “Enveristen”) und einer halblegalen, halböffentlichen Bewegung von Intellektuellen und Politikern in den Institutionen andererseits (den “Titoisten”). Die “Enveristen” galten als flammende Patrioten, aber 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, war auch ein noch so nationalistischer „Sozialismus“ diskreditiert. Dies galt auch für bekannte und respektierte Figuren wie den langjährigen politischen Gefangenen Adem Demaçi. Die neue albanische Bewegung war – in Anlehnung an die Ereignisse in Mittel- und Osteuropa – antikommunistisch, “demokratisch”, “zivilgesellschaftlich” und ... “pazifistisch”.

Die „Demokratische Liga des Kosova“ LDK um Ibrahim Rugova wurde am 23. Dezember 1989 gegründet. Sie ist Ausdruck dieser Strömung und versteht sich als “nationale Partei der Albaner”. In nur fünf Wochen gewann sie rund 500’000 Mitglieder. Vor allem Rugova selber stand als Symbol des Protestes und des Widerstandes gegen das serbische Regime. Rund 20 weitere Parteien und Verbände, von den Sozialdemokraten über die Grünen bis zu den National-Demokraten entstanden, konnten jedoch nie über kleine Kreise hinaus Einfluss entwickeln.

Zum konspirativen Sammelbecken des Widerstandes gegen die serbische Politik im Kosov@ und den politischen Kurs der LDK wurde die aus verschiedenen maoistischen Organisationen 1982 im deutschen Exil gegründete „Volksbewegung für eine Republik Kosova“ LPK. Als Ibrahim Rugova am 2. Juli 1990 die Erklärung der Unabhängigkeit des Kosov@ ausrief, akzeptierte die LPK dies zwar, beteiligte sich aber weder am “Koordinierungsrat der albanischen Parteien im Kosova” noch an den Parlamentswahlen vom 24. Mai 1992. Die LPK verlor politisch Terrain an die LDK und einige vorherige Radikale wechselten die Seite ins LDK-Lager. Die Kritik an der LDK liess deswegen nicht nach: Sie sei eine “Mastodon-Partei” (ausgestorbener Elefant aus dem Tertiär), die alle ihre Anstrengungen auf immaginäre Wahlen richte und hoffe, so ihre eigene Bürokratie an die Macht zu bringen.

Die politischen Ziele der LPK beinhalten einen gemeinsamen, unabhängigen Staat für alle Albaner im Kosov@, in Mazedonien, in Montenegro und in Südserbien. Gewalt wird in diesem Kampf für Grossalbanien als legitimes Mittel betrachtet. Der grossalbanische Nationalismus unterscheidet sich hier in nichts von seinen balkanischen Gegenspielern. Kein zu kurz und zu spät gekommener Balkanstaat, der nicht den Nationalismus historischer Grösse beschwört, um die Bevölkerung über die heutige Beschränktheit hinwegzutrösten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die LPK die (politische) Heimat der UÇK ist. Inzwischen hat dies der ehemalige Geschichtslehrer und heutige UÇK-Sprecher Jakup Krasniçi, der von 1981 bis 1990 wegen Anstiftung zu Unruhen in jugoslawischer Haft sass, zugegeben: “1992 und 1993 entstand in der Schweiz innerhalb der LPK ein militärischer Flügel, der 1994 die UÇK bildete.”

Polarisierter Konflikt

Als Anfang 1998 bei der Erneuerung des LDK-Präsidentenrates Rugova alle Vertreter radikaler Positionen weggesäuberte, kam es zum Bruch mit der alten Garde der politischen Gefangenen, die als Berufspolitiker in der LDK eine Heimat gefunden hatten, und der Strategie des gewaltfreien Widerstandes. Diese gesäuberten Radikalen verschoben das Gewicht im politischen Machtkampf hin zur LPK und der Strategie des bewaffneten Kampfes der UÇK.

Der LDK liefen die Leute scharenweise davon, um sich in die Reihen der UÇK einzugliedern, und die Partei zerfiel zusehends. Allerdings blieb die politische Identität verworren. Shkëlzen Maliqi, als Journalist und bis 1992 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei einer der offensten Politiker des Kosov@, erklärt die Lage so: „Soweit es mir bekannt ist, entsprechen die politischen Standpunkte innerhalb der UÇK in etwa denjenigen der gesamten politischen Szene des Kosovo. Die Mehrheit derer, die sich für die UÇK rekrutiert hat, war früher Mitglied der LDK und zollt Rugova nach wie vor Respekt.“

Offen wurde der LDK aber von der politischen Führung der UÇK gedroht, sich dem bewaffneten Kampf in den Weg zu stellen. In der “Politischen Erklärung Nr. 4 des Generalhauptquartiers der UÇK” wurden verhandlungswillige, politische Kräfte im Kosov@ gewarnt, ihre “dreckigen Spiele, die zerstörerisch für die Nation und das Vaterland sind”, weiterzuführen. Die Kosovari wurden aufgerufen, “Albanertum als ihre Ideologie zu akzeptieren, unserem Kampf für Freiheit zu dienen, unsere historischen Chance, unsere Hoffnungen zu erfüllen.” Lum Haxhiu, Schriftsteller und “UÇK-Offizier für politische Angelegenheiten und Förderung der Moral” spricht Klartext: Ein Politiker, egal wer, der seine Unterschrift unter einen Friedensvertrag setzen sollte, der nicht die vollständige Unabhängigkeit Kosovos anerkenne, unterschreibe sein Todesurteil (NZZ 23.7.98).

Der bewaffnete Kampf der Guerilla

Die UÇK erschien erstmals mit einem Bekennerschreiben im April 1996. Sie profilierte sich durch Morde an serbischen Polizisten im Kosov@, vor allem aber gegen “illoyale” Albaner, die der Kollaboration mit dem serbischen Regime “angeklagt” wurden und dafür mit dem Leben bezahlen mussten. Ob zurecht oder nicht wurde die UÇK deshalb immer wieder bezichtigt, Produkt des jugoslawischen Geheimdienstes zu sein.

Laut Aussagen aus dem US-amerikanischen Verteidigungsministerium entwickelte sich die UÇK innerhalb weniger Monate von einer “kleinen Bande von 200 Kämpfern im März zu einer soliden Truppe von rund 2000 gut bewaffneten und ständig besser ausgebildeten Kämpfern”. Der offizielle Sprecher der UÇK, Jakub Krasniçi, gibt unumwunden zu, woher die UÇK-Kämpfer kommen. Auf die Frage eines “Spiegel”-Journalisten, ob es stimme, dass mehr als die Hälfte der Soldaten ehemalige Gastarbeiter aus Deutschland und der Schweiz seien, meint er: “Ja, sie kamen zurück, um für ihr Heimatland zu kämpfen.” Auch die “Neue Zürcher Zeitung” zitiert ein “Mitglied der Kontaktgruppe ehemaliger kosovo-albanischer Offiziere der Jugoslawischen Volksarmee”, der sich als abgewiesener Asylbewerber der UÇK zur Verfügung stellt, indem er im Kanton St. Gallen freiwillige Kämpfer rekrutiert: “Unser Präsident Rugova hat uns nie darum gebeten, aber nun ruft uns die UÇK.” (NZZ, 22.7.98) Jede Woche verliessen mindestens zwanzig Albaner die Schweiz Richtung Tirana.

Geld sei kein Problem für die UÇK und wer Geld habe bekomme überall moderne Waffen. Trotzdem hatte sie militärisch gegen die jugoslawischen Einheiten nie eine Chance. Das serbische Innenministerium unterhält eine 30’000 Mann starke Streitkraft im Kosov@. Dazu kommen 10’000 Mann der Armee mit Luftwaffeneinheiten, Raketen- und Artillerieeinheiten und speziellen Grenzbataillonen.

Die Strategie der Machtergreifung

Ihre Basis und ihr Hauptquartier hatte die UÇK in einer Ansammlung von kleinen und kleinsten bäuerlichen Streusiedlungen in Zentralkosov@. Wie andere Guerillabewegungen mit maoistischer Ideologie verfolgte die UÇK eine Strategie der Einkreisung der Städte durch “befreite Gebiete” auf dem Land. Vom Land versuchte die UÇK ihren Kampf auch in die Städte zu tragen. Ende Juli liessen sie verlauten, der Krieg sei von einem “ländlichen” zu einem “städtischen Krieg” vorangeschritten, was die UÇK unweigerlich auch nach Pristina bringen werde.

In den befreiten Zonen wurden die politischen Strukturen gleichgeschaltet mit den militärischen Kommandostrukturen der Guerilla. Parteistrukturen und Parteivertreter wurden in die UÇK aufgesogen. Andererseits buhlten mehrere Parteien im Kosov@ um die Gunst, als politischer Flügel der UÇK zeichnen zu dürfen. Adem Demaçi, Führer der Parlamentarischen Partei und selber 27 Jahre politischer Gefangener, wurde nach langen politischen Querelen und vor allem nach den militärischen Niederlagen Ende Juli als politischer Repräsentant der UÇK anerkannt, auch wenn UÇK-Sprecher Jakup Krasniçi kurz zuvor noch betont, keine Partei im Kosov@ dürfe im Namen der UÇK sprechen. Stattdessen müssten sie die UÇK als nationale Armee des Kosova akzeptieren, die bei jedem Gefecht mit den Serben stärker würde.

Die militärischen Niederlagen ab Ende Juli zeigten aber, wie verwundbar die UÇK war und wie verhängnisvoll ihre Strategie für die Zivilbevölkerung ist. Dorf für Dorf wurden von den serbischen Einheiten erobert und „gesäubert“. Die Ausweitung des Operationsgebietes der Guerillatruppen stürzte immer weitere Gebiete des Kosov@ in die Fänge des Krieges. Die UÇK muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit ihren militärischen Aktionen die Säuberungen und Rachefeldzüge der serbischen “Sicherheitskräfte” zu legitimieren. Indem die serbischen Einheiten Land und Häuser zerstören, entziehen sie der ansässigen Bevölkerung die Grundlagen ihrer Existenz und führen der Guerilla genau jene nach Rache dürstenden Desperados zu, die sie braucht. Wohin sollten denn die jungen Männer sonst?

Trotzdem: Der fast kampflose Flucht aus den „kontrollierten und befreiten Gebieten“ schwächte die Moral und legte offen, wie zerstritten die albanischen Kräfte im Hinblick auf das weitere Vorgehen sind. Die UÇK erhob in ihrem „Politischen Communiqué Nr. 5“ den Vorwurf, dass der „Besetzer“ möglicherweise mit den „sogenannten Politikern“ in Pristina konspieriere. Anfang August bestätigte die UÇK ihre Verschwörungstheorie und behauptete, die serbische Politik stehe im Einklang mit den Wünschen gewisser internationaler Kreise im Ausland und gewisser politischer Kräfte im Kosovo selbst, die dem gewaltsamen Vorgehen Belgrads zugestimmt hätten. Die Medien berichteten derweil von totalem Chaos in den Reihen der Kämpfer und von Absatzbewegungen der Führung ins benachbarte Albanien.

Leerstelle Politik

Die UÇK setzte bewusst auf eine Militarisierung und auf die Zuspitzung des Konflikts, um die Internationalisierung des Konfliktes und eine Intervention der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu erreichen. Man erhoffte sich, so zumindest ein Protektorat zu erreichen, aus dem die serbischen “Sicherheitskräfte” abziehen müssten und in dem man dann die Kontrolle übernehmen könnte. Die Haltung der Nato und der ganzen westlichen Politik, eine staatliche Unabhängigkeit des Kosov@ nicht anzuerkennen, liess diese Strategie leerlaufen, da damit die Intervention der Nato entlang der jugoslawischen Grenze als einzig mögliche Intervention übrigblieb. Damit wären aber die Flucht- und Nachschubwege der UÇK nach Mazedonien und Albanien unterbrochen worden, was die UÇK vor eine militärisch unmögliche Situation gestellt hätte.

Über die politischen Strategien befragt, wie sich die kleine UÇK gegen die serbische Übermacht behaupten wolle, wurde auf die schlechte Moral und die häufigen Desertationen bei den serbischen Truppen und Polizeieinheiten und auf die eigene hohe Kampfmoral hingewiesen. Weitergehenden politischen Überlegungen wie der Frage nach einer Koalition mit oppositionellen Kräften in Serbien und der politischen Führung in Montenegro verweigerte man sich ebenso wie einem Einbezug in die politische Verantwortung für die militärischen Taten. Im Weg steht der UÇK dabei ihre vermeintliche Ideologielosigkeit: “Wir haben keine Ideologie, weil wir keine Zeit haben, uns darum zu kümmern. Unser Hauptanliegen ist die Befreiung. Ideologie und politische Parteien, das ist für später”, meinte UÇK-Sprecher Jakup Krasniçi.

Das Fehlen einer politischen Strategie schwächte die UÇK auch militärisch: Während die serbischen Militärs gut kalkulierten und den Moment abwarteten, bis die Nato-Botschafter für zwei Monate in die Sommerferien verreisten, um dann eine grosse Aktion zu starten, verlor sich die UÇK in ihren militärischen und maximalistischen Versprechungen einer sofortigen Befreiung. Milosevic kam seinen Zielen mit jeder Aktion näher: Zerschlagung der politischen Bewegung der Kosovari, Destabilisierung der Führung in Montenegro durch albanische Flüchtlinge. Die Kosovari dagegen sind von einem “Leben in Sicherheit und Würde”, wie es das Abkommen von Dayton für die BewohnerInnen Bosniens versprach, seit dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung weiter weg denn je. „Die UÇK will alles – und nützt damit dem Feind“, titelte der „Tages-Anzeiger“ am 25. Juli und die NZZ meldete wenige Tage später unter dem Titel „Wachsende Frustration über Kosovo bei der Nato“: „Das Unvermögen der Kosovo-Albaner, eine Gesprächsdelegation zu bilden, die alle Parteien umfasst, erweist sich nach Angaben der Nato-Verantwortlichen als eines der Haupthindernisse beim Bestreben, den Druck auf den jugoslawischen Präsidenten Milosevic zu erhöhen.“ (5.8.98)

Den Frieden verhandeln?

Die militärischen Niederlagen Ende Juli zwangen die UÇK dazu, sich die Frage politischer Verhandlungen zu stellen. Bujar Bokoshi, Premierminister der kosov@-albanischen Parallelregierung, erklärte am 10. Juni, als die UÇK noch auf militärische Siege verweisen konnte, alle Wege zu einer friedlichen Lösung seien blockiert und “mindestens ein Drittel der Kosova-Albaner sind bereit zum bewaffneten Widerstand”. Jakup Krasniçi fand noch poetischere Worte in seinem “Spiegel”-Interview: “Alle Wege zum Frieden sind verbaut, die Realität ist leider der Krieg. Und ich fürchte, er wird in der Tat nicht kurz sein. Ein albanisches Sprichwort sagt: Die Freiheit hat die Würze des Blutes, und sie kennt keinen Preis.” Und weiter: “Derzeit entscheidet nicht Rugova, sondern die UÇK für das Kosovo. Wir sprechen die einzige Sprache, die die serbische Führung versteht: Gewalt.”

Heute, nach den militärischen Aktionen der UÇK zur “Befreiung” des Territoriums und nach den Aktionen der serbischen “Sicherheitskräfte” zur “Bekämpfung des Terrorismus” stehen kurzfristig die Chancen für eine politische Lösung schlechter denn je. Milosevic ist für den Westen und für den Kosov@-Konflikt um so wichtiger, je zerstrittener die Kosovari selber sind. Als die UÇK Adem Demaçi zum politischen Vertreter ihrer Bewegung erhob, erklärte dieser umgehend Rugova den Krieg. Dieser habe ausgespielt, weil der die Guerilla als stärkste Kraft der Kosovo-Albaner nicht hinter sich habe. Demaçi selber stützt sich selber allerdings genau auf den militaristischsten Flügel der UÇK, der in den letzten Wochen Niederlage um Niederlage einstecken musste. Während mit Rugova und Demaçi also zwei „Präsidenten“ um die Macht ringen, halten sich Bevölkerung und gemässigte Politiker wie Veton Surroi in möglichst grosser Entfernung. Je tiefer die Niederlage der UÇK, um so fester sitzt Rugova wieder im Sattel. Je länger der Streit um die Führung im Kosov@, um so sicherer die Position von Milosevic.

Verschiedene moderate und politisch denkendere Figuren versuchen, den Kontakt zur UÇK herzustellen und sie in Gespräche mit der serbischen Führung einzubeziehen. Veton Surroi, Gründer und bis vor kurzem Chefredaktor der unabhängigen Tageszeitung “KOHA DITORE”, vertritt diese Position. Einerseits ist dies Ausdruck der realen Kräfteverhältnisse, andererseits will er damit die UÇK in die politischen Prozesse und Verantwortungen einbinden, um den bisher rein militaristischen Kurs zu korrigieren: Am Schluss werden doch wieder politische Verhandlungen geführt werden müssen, soll das Problem je gelöst werden. Mindestens so viel müsste die UÇK aus den Erfahrungen in Lateinamerika, Afrika oder Nordirland lernen.

Vertreter des US-amerikanischen Geheimdienstes, die den Kontakt zur UÇK pflegen und sie an den Verhandlungstisch holen wollen, bezeichnen die politische Verwirrung bei den Kämpfern auf allen Ebenen als hauptsächliches Problem für Friedensverhandlungen. Man sei sich weder über die Ziele noch über die Mittel einig: “Es ist schwierig zu verhandeln, wenn eine Seite so verwirrt ist, dass sie nicht einmal weiss, worüber sie verhandelt.” Es fehlt der militärischen und politischen Führung der Kosovari weiterhin eine gemeinsamen Strategie und ein inhaltlicher Minimalkonsens, der die Voraussetzung für eine politische Bearbeitung des Konfliktes abgeben würde. Statt dessen ist der Konflikt um die politische Macht der Machtlosen voll entbrannt. Milosevics Kalkül ist also voll aufgegangen und die UÇK darf sich gratulieren, mit ihrer militaristischen Strategie dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet zu haben.

Das Dilemma des Krieges

Die Aktionen der UÇK haben den Kosov@-Konflikt aus der latenten politischen Krise auf die Stufe der Kriegsführung hinunter gedrückt. Die Spielräume für politisches Handeln – vorher von beiden Konfliktseiten nicht ausgenützt und von aussen nicht auferlegt – haben sich damit dramatisch verkleinert. Der Westen begnügte sich damit, Menschenrechtsverletzungen zur Kenntnis zu nehmen und zum Gewaltverzicht aufzufordern. Die Logik des Krieges macht einen Gewaltverzicht und einen Dialog ohne Vorbedingungen für beide Seiten praktisch unmöglich. Die UÇK ist dazu verurteilt,“befreite Gebiete” militärisch abzusichern, um der Rache der serbischen Polizei und Armee zu entgehen. Die serbischen Spezialeinheiten andererseits wissen, dass jedes Dorf, das sie räumen, von der UÇK sofort übernommen wird.

Die alten gesellschaftlichen und politischen Strukturen in den von landwirtschaftlicher Produktion geprägten Landschaft des Kosov@ sind beinahe mittelalterlich paternalistisch. Die UÇK kombiniert diese paternalistischen Clanstrukturen mit militaristischem Drill zu einem Konzept, das kaum Freiraum für ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt lässt. Diese Strategie schafft auch auf Seiten unabhängiger Intellektueller, Kultur- und Medienschaffender, Jugendlicher und Menschen in “gemischten” Ehen Angst vor der Zukunft. Längst nicht alle Kosov@-AlbanerInnen hofften auf den Einzug der UÇK in der Hauptstadt Prishtina. In die Hoffnung vieler Kosovari, die serbische Herrschaft endlich loszuwerden, mischte sich die Angst vor den totalitären Vorstellungen der “Befreiungsarmee”. Frei von Serben zu sein, heisst noch nicht, dann auch in Freiheit leben zu können.

Die Nato weiss, wie sie will...

Die militärische Planung für einen Einsatz der Nato im Kosov@ ist abgeschlossen. Die Intervention ist vorbereitet, man wartet auf grünes Licht. So klar zu sein scheint, wie die Nato intervenieren will, so unklar bleibt aber, was sie dort mit einer Intervention erreichen will. Da nützt es auch nichts, den politischen Kräften im Kosov@ die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil sie sich nicht auf eine Minimalplattform und eine gemeinsame Verhandlungsdelegation gegenüber Belgrad einigen könnten. General Wesley Clark, Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa, erläuterte in einem NZZ-Interview (21.8.98) ausführlich, wie gut und genau sie die Motive und Vorgehensweisen, die Ziele und Strategien der Konfliktseiten verstünden, um dann allerdings festzuhalten: „Ich bin nur Soldat, hier stehen aber wichtige politische Grundsätze und Prinzipien auf dem Spiel.“ Die militärische Allmacht der Nato versteckt sich hinter der politischen Ohnmacht wessen? Trotzdem wagt er noch zu behaupten, die Nato habe „einen gut funktionierenden Mechanismus für die Bewältigung von Krisen geschaffen“.

Das Unvermögen der westlichen Politik, einen Konsens über die politischen Ziele und Vorgehensweisen im Kosov@ herzustellen, wird überspielt mit Nato-Manövern im benachbarten Albanien und in Mazedonien. Man spielt hektische Betriebsamkeit vor, um dahinter die politische Ratlosigkeit zu verberge. Wie viele Bosnien, Ruanda oder Kosov@ soll die Politik noch abwarten, bis sie endlich einsieht, dass solche Konflikte nicht mit militärischen Mitteln bearbeitet werden können? Wieder einmal rächt es sich, dass die Politik Probleme verpennt, um nachher so zu tun, wie wenn mit einem deftigen Faustschlag das grosse Reinemachen erledigt werden könnte. Die Einsicht in die Unmöglichkeit, mit Militär Frieden zu schaffen, sollte eigentlich langsam auch bei Militärs selber wachsen. Wichtig wäre aber, dass aus dem Eingeständnis militärischer Unfähigkeit eine Strategie zur Befähigung der Politik und der zivilen Instrumente resultieren würde.

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